Das Watt der Nordsee ist Weltkulturerbe und gilt als besonders schützenswert. Ein ausgedehnter Ort, wo neues Leben entsteht. Hansjörg Küster (†), ehemals Professor für Pflanzenökologie an der Leibniz Universität Hannover, bringt dieses Ökosystem Interessierten sehr nahe.
Als Kind ist Küster zum ersten Mal an der Nordsee gewesen – unvergessene faszinierende Eindrücke und Einsichten – die ihn zu seiner intensiven Beschäftigung mit dem Watt inspirierten. Sein Buch ist wissenschaftliche Darstellung, gut verständlich und klar formuliert, und berührt auch Aspekte der Ideen- und Kulturgeschichte des Watts. Vor allem aber geht es um das Ökosystem: im Flachwasserbereich wird viel Kohlendioxid abgebaut und Sauerstoff freigesetzt, viele Lebewesen entstanden hier im Laufe der Evolution – „Wiege des Lebens“.
Ausführlich erläutert Küster die Tier- und Pflanzenwelt, erklärt die Notwendigkeit des Naturschutzes und gibt genauen Einblick in die Watt- und Klimageschichte ebenso wie in Geologie und Geographie des Watts. Die Natur ist dynamisch wie das Meer, Küsten sind nie gleich und steter Veränderung unterworfen, an der auch der Mensch seinen Anteil hat.
Hansjörg Küster liefert mit seinem Buch, dessen Erscheinen der Autor nicht mehr erleben konnte, eine kluge umfassende und persönliche Darstellung. Sehr lesenswert!
Dieses Buch empfiehlt Ulrike Groffy
Es sind die Abgehängten der Gesellschaft, denen Friedrich Ani in seinen Krimis unermüdlich eine literarische Bühne bereitet. Mit großer Empathie und eindringlicher Direktheit erleben wir Schicksalslinien.
Tabor Süden ist inzwischen Privatdetektiv und bekommt einen Auftrag einer besorgten Ehefrau: Ihr Mann Leo Ahorn ist verschwunden. Der gemeinsam geführte Schreibwarenladen läuft immer schlechter, Leo Ahorn wollte Geld auftrieben und umbauen, ist aber in letzter Zeit nur noch in seiner Stammkneipe gewesen. Ein Ort, wo sich schillernde Typen treffen. Tabor Süden geht der „Vermissung“ auf seine ganz eigene unaufgeregte Art nach, während Oberkommissarin Fariza Nasri offizielle Ermittlungen aufnimmt, denn es gibt einen Toten. Und plötzlich erscheint der Fall in einem ganz anderen Licht.
Zufällige Begegnungen und zerplatzte Lebensträume mischen sich in diesem Krimi zu einem verhängnisvollen Lauf der Lebensgeschichte eines Paares – verstörend. Und zugleich faszinierend und spannend, wie Ani hier die Leben seiner Figuren zusammenführt.
Der Tod kommt nicht zufällig.
Familie bieten immer allerhand unterhaltsamen Stoff für einen Roman: Nähe, Emotionen und verschiedenste Meinungen treffen hier aufeinander. Erfolgsautorin Amelie Fried lässt es in ihrer Familie einen heißen Sommer lang ordentlich knistern.
Ausgerechnet auf der Jubiläumsfeier ihres Autohauses verkündet die erfolgreiche Unternehmerin Claudia Berner, dass sie für die anstehende Bürgermeisterwahl kandidieren wird – politische Arbeit ist ein langgehegter Traum von ihr. Die Geschäftsführung soll ihr Mann Martin übernehmen, was wiederum ihrer Mutter Marianne, Seniorchefin vom alten Schlag, so gar nicht gefällt. Jeder in der Familie hat seine eigensten Ziele, die hartnäckig verfolgt werden: auch die 18jährige Tochter Anouk geht neuerdings heimlich als Umweltaktivistin ihren Weg, der nicht ungefährlich ist und das Familiengefüge gefährlich ins Wanken bringt. Notwendige Veränderungen stehen an.
Ein sehr lebendig geschriebener Familienroman mit allen bekannten Konflikten, der vor allem durch seine schlagfertigen Dialoge und Argumentationen überzeugt. Es wird verheimlicht und geschwiegen – doch am Ende für Überzeugungen gekämpft, gegen alle Widerstände.
Ein Plädoyer für starke Frauen.
Dieses Buch empfiehlt Ulrike Groffy
Die wirtschaftlichen Eliten der Hansestadt Lübeck kennt man seit Thomas Manns großem Familienroman „Buddenbrooks“.
Inger-Maria Mahlkes neuer Roman setzt ganz andere Akzente: es sind die kleinen Leute, die hier in den genauen Blick geraten.
Ein Familienepos und zugleich die Geschichte von Hausangestellten, Lohndienern und weiblichen Bediensteten am Ende des 19. Jahrhunderts in Lübeck, dem „kleinsten Staat im Deutschen Kaiserreich“, wie es heißt. Die Lindhorsts sind vermögend und kaisertreu und haben etliche Kinder, 1890 wird noch eine Tochter geboren, Marthe, deren Zukunftsaussichten sich deutlich von denen ihrer Brüder unterscheiden. Friedrich Lindhorst ist kein Kaufmann, sondern Rechtsanwalt, natürlich Ratsmitglied; seine Frau Marie kommt aus einer Dichterfamilie und krankt an der Seele. Man pflegt hier wie in anderen Häusern einen gewissen Hochmut, sehr zu Lasten der Hausangestellten. Und auch des Lohndieners Charlie Helms, dessen Frau übrigens eine Affäre mit dem Ratsdiener Isenhagen beginnt…
Es gärt in der Gesellschaft, Arbeiter und Angestellte fordern mehr Rechte, das Bürgertum radikalisiert sich: soziale Veränderungen, die sich auch unter den Heranwachsenden ankündigen, wie es in der zentralen Figur des Schülers Georg dargestellt wird.
Mahlkes Roman endet 1906 und entlässt uns in das 20. Jahrhundert, dessen verheerende Krisen und Greueltaten bekannt sind. Ihr vielschichtiges Buch erzählt detailreich und dicht von deren Anfängen, am Beispiel einer kleinen Stadt. Großartig!
Dieses Buch empfiehlt Ulrike Groffy
Als der elfjährige Lev über Wochen ans Bett gefesselt ist, wird die gescheite, aber von allen gemiedene Kato zu ihm ans Krankenbett geschickt, um ihm die Hausaufgaben zu bringen. Zwischen dem ungleichen Paar entsteht eine intensive Freundschaft, die Lev aus seiner Versteinerung löst und den beiden Heranwachsenden im kommunistischen Rumänien einen Halt bietet.
Mit Öffnung der europäischen Grenzen geht Kato jedoch eines Tages in den Westen. Geblieben sind Lev nur ihre gezeichneten Postkarten aus ganz Europa. Bis ihn eines Tages eine Karte aus Zürich erreicht, darauf nur ein einziger Satz: „Wann kommst du?“
Nach „Die Unschärfe der Welt“ wieder ein wunderschöner und poetischer Roman von der in Siebenbürgen geborenen Autorin Iris Wolff!
Die gefeierte Bestsellerautorin Zadie Smith überrascht mit einem literarischen historischen Roman, der sich um einen der bekanntesten Gerichtsfälle Englands dreht: Der Tichborne-Fall, der Arm gegen Reich aufwiegelte.
London 1873.
Mrs. Eliza Touchet ist die schottische Haushälterin und angeheiratete Cousine des einstmals erfolgreichen Schriftstellers William Ainsworth. Eliza ist aufgeweckt und kritisch. Sie zweifelt daran, dass Ainsworth Talent hat. Und sie fürchtet, dass England ein Land der Fassaden ist, in dem nichts so ist, wie es scheint…