Karine Tuil „Menschliche Dinge“
Für ihren Roman „Menschliche Dinge“ gewann Karine Tuil in Frankreich zu Recht zahlreiche Preise. Sie schildert darin das Leben der Bilderbuchfamilie Farel. Jean und Claire sind beide politische Journalisten, er im Radio und Fernsehen, sie als feministische Redakteurin und Buchautorin. Seit einigen Monaten leben sie bereits getrennt, doch es gilt noch einmal die Fassade aufrecht zu erhalten, als Jean der Orden der französischen Ehrenlegion, durch den Präsidenten persönlich, verliehen wird. Dafür reist extra der brillante Sohn Alexandre aus Stanford an. Die Familie kann mühsam den Schein wenige Stunden aufrecht erhalten, nach dem offiziellen Teil des Abends geht wieder jeder seiner Wege. Jean hat Sex mit einer Praktikantin, Claire geht zu ihrem neuen Partner und Alexandre besucht eine Studentenparty. Alles ganz normal, aber am nächsten Morgen steht die Polizei vor Tür der großbürgerlichen, elterlichen Wohnung und nimmt ihn unter dem Vorwurf der Vergewaltigung mit.
Tuil schildert wie die Welt bei den priviligierten Intellektuellen und der Familie des Opfers aus den Fugen gerät, in dem sie uns, wie Geschworene, an dem Prozess teilnehmen lässt. Es ist kein amerikanischer Gerichtsthriller mit Showdown, sondern jeder hat eine andere Sicht auf den Abend und ordnet die Geschehnisse nach den Codes des eigenen Millieus ein. Männer und Frauen bewerten Macht und deren Missbrauch unterschiedlich, aber auch die gesellschaftliche Sozialisation ist prägend für den moralischen Kompass, den wir anlegen. Diese Unterschiede führen zu einem Scheitern der Kommunikation und so werden alle Beteiligten zu Opfern und Tätern.
Karine Tuil ist selbst Juristin und hat ein Buch geschrieben, das einen nach einem atemlosen Lesevergnügen noch lange beschäftigt.
Großartig und unbedingte Leseempfehlung, falls jemand das Taschenbuch „Die Gierigen“ von ihr noch nicht kennt, empfehle ich den Doppelpack!
Dieses Buch empfiehlt Petra Luhnau