Inger-Maria Mahlke „Unsereins“
Die wirtschaftlichen Eliten der Hansestadt Lübeck kennt man seit Thomas Manns großem Familienroman „Buddenbrooks“.
Inger-Maria Mahlkes neuer Roman setzt ganz andere Akzente: es sind die kleinen Leute, die hier in den genauen Blick geraten.
Ein Familienepos und zugleich die Geschichte von Hausangestellten, Lohndienern und weiblichen Bediensteten am Ende des 19. Jahrhunderts in Lübeck, dem „kleinsten Staat im Deutschen Kaiserreich“, wie es heißt. Die Lindhorsts sind vermögend und kaisertreu und haben etliche Kinder, 1890 wird noch eine Tochter geboren, Marthe, deren Zukunftsaussichten sich deutlich von denen ihrer Brüder unterscheiden. Friedrich Lindhorst ist kein Kaufmann, sondern Rechtsanwalt, natürlich Ratsmitglied; seine Frau Marie kommt aus einer Dichterfamilie und krankt an der Seele. Man pflegt hier wie in anderen Häusern einen gewissen Hochmut, sehr zu Lasten der Hausangestellten. Und auch des Lohndieners Charlie Helms, dessen Frau übrigens eine Affäre mit dem Ratsdiener Isenhagen beginnt…
Es gärt in der Gesellschaft, Arbeiter und Angestellte fordern mehr Rechte, das Bürgertum radikalisiert sich: soziale Veränderungen, die sich auch unter den Heranwachsenden ankündigen, wie es in der zentralen Figur des Schülers Georg dargestellt wird.
Mahlkes Roman endet 1906 und entlässt uns in das 20. Jahrhundert, dessen verheerende Krisen und Greueltaten bekannt sind. Ihr vielschichtiges Buch erzählt detailreich und dicht von deren Anfängen, am Beispiel einer kleinen Stadt. Großartig!
Dieses Buch empfiehlt Ulrike Groffy