Amor Towle „Ein Gentleman in Moskau“
Wie kann man bestehen, wenn sich bekannte Strukturen auflösen und man zu einer Existenz gezwungen wird, in der die persönliche Freiheit in höchstem Maß beschnitten wird? Der amerikanische Autor Towles könnte mit einer Romanfigur antworten: Graf Alexander Iljitsch Rostov.
1922. Es ist die Zeit der russischen Revolution und die Umbrüche im Land fordern ihren Tribut. Graf Rostov wird von einem Volkskommissariat zu lebenslangem Hausarrest im Moskauer Hotel Metropol verurteilt – einzig ein Gedicht rettet ihn vor der sofortigen Exekution. Von der Luxussuite wird er in eine winzige Dachkammer umquartiert und er übernimmt eine Stelle als Kellner im Bojarski, dem noblen Restaurant des Hotels. Er freundet sich nicht nur mit dem Hotelpersonal und einigen Gästen an, sondern nach und nach auch mit seinen neuen Umständen.
Was an Graf Rostov besonders beeindruckt, ist sein unerschütterliches Festhalten an seinem Ideal des Gentleman. Er zeigt, dass gute Manieren, ein unerschütterlicher Optimismus und moralische Integrität nicht den Lebensumständen ausgeliefert sein müssen, sondern diese im Gegenteil noch bereichern können. Sein Engagement für seine Freunde kann selbst in seiner prekären Lage noch als gutes Beispiel für andere dienen und seine Fähigkeit zu persönlicher Weiterentwicklung lässt einen an vielen Stellen gerührt und beeindruckt zurück.
Parallel erfährt man etwas über den Fortgang der russischen Revolution, stets mit dem Blick des Grafen oder seiner Freunde und Bekannten, die ihm von der sich rasant verändernden Welt vor den Türen des Metropol berichten. Ein Perspektivwechsel zu den Geschehnissen der Revolution wird oft fußnotenartig in die Geschichte eingewoben und schafft es, die Ängste und Nöte der Zeit zu erfassen und Leser*innen lebhaft näherzubringen, ohne von der eigentlichen Handlung abzulenken.
Ein großartiger Roman, wenn auch schon etwas älter. Und eine klare Leseempfehlung!
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